„Ich habe lange versucht, alles zu erklären – meine Diagnose, meine Erschöpfung, meine Angst. Aber dieses Bild sagt mehr als Worte. Es zeigt meine Realität, meine Muttersprache der Müdigkeit. Es zeigt: Ich bin nicht schwach. Ich bin durch vieles gegangen. Und ich zeige mich – damit ihr nicht nur meine Symptome, sondern mich seht.“
Diagnose-Odyssee
**Juni 2021:** Mein Hausarzt gibt mir Überweisungen fürs MRT und zum Neurologen. Ich suche zwischen Hamburg und Hannover. Der früheste Facharzttermin, den ich bekomme, liegt sechs Monate entfernt. Ich spüre: Ich habe keine Zeit.
Beim MRT in Harburg drohen mir auf dem Bahnsteig die Beine wegzubrechen. Mit größter Mühe ziehe ich den Termin durch – der Befund ist ohne Auffälligkeit. Ich telefoniere erneut Neurologen ab, viele Adressen stehen schon auf meiner Liste. Ich hatte sechs Jahre in einer sozialpsychiatrischen Einrichtung gearbeitet – irgendwo muss es doch noch Namen geben, die ich kenne.
Dann fällt mir eine Ärztin im Schanzenviertel ein. Ich finde sie zwar nicht, aber entdecke, dass dort jetzt ein neurologisches Zentrum existiert – die Krankenkasse wusste davon nichts. Dort gab es ein Angebot: Wer frühmorgens kam, konnte ohne freien Arztwahl in die Behandlung rutschen. So geriet ich an eine großartige Ärztin, die mich ernst nahm und erkannte, dass etwas nicht stimmte …
Meine Freundin redet mir ins Gewissen: Ich soll endlich ins Krankenhaus gehen. Ich habe Angst.
Aber nachdem ich Mühe habe, einen Weg von 200 Metern zu bewältigen, sehe ich es auch ein. Es geht nicht mehr. Mein Körper macht nicht mehr mit.
Die Untersuchungen – Zwischen Verdacht und Verwirrung
Die neurologischen Untersuchungen machen keinen Spaß. Ich werde durch laute Geräte geschleust, gepiekst, mit Stromstößen konfrontiert. Die Lumbalpunktion steht noch bevor. Ich schlafe nachts kaum. Es ist zu warm, die Bettnachbarin hat den Fernseher pausenlos laufen. Ich bekomme immer mehr Angst vor der Krankenschwester, die am Anfang noch nett war.
Die Stimmung verändert sich. Die Ärzte werden ungeduldiger. Manche Untersucher sagen Sätze wie: „Ach, Sie wollen also das und das Symptom gehabt haben?!“ Oder: „Schade, dass Sie kein Novalgin vertragen – das ist doch ein gutes Schmerzmittel.“
Meine Freund:innen sind da. Sie rufen mich täglich an, einige kommen sogar vorbei. Das hilft enorm.
Der Oberarzt – sehr freundlich im Kontakt – erklärt mir: Der erste Verdacht, Schlaganfall, ist ausgeschlossen. Immer öfter fällt das Wort Parkinson. Bei mir wurden fünf pathologische Reflexe festgestellt – das spricht für eine neurologische Erkrankung. Außerdem das sogenannte Zahnradphänomen. Und etwas Besonderes: ein Alien limb - Phänomen. Mein linker Arm fühlte sich nicht zugehörig an. Ich klemmte damit eine Zeitung unter den Arm – und vergaß ihn danach komplett.
Dann macht der Arzt, wie einen letzten Versuch, den L-Dopa-Test. Ich bekomme eine hoch dosierte Vorstufe von Dopamin. Für mich und die Krankengymnastin ist der Unterschied spürbar. Für den Arzt reicht das nicht.
Er sagt mir seine Verdachtsdiagnose: Atypischer Parkinson mit kortikobasaler Degeneration und Alien limb Phänomen. Ich frage nach, ob es nicht auch „klassischer“ Parkinson sein könnte. Der Arzt ist deutlich – und ich spüre, dass er es gut meint: „Nein, sicher nicht.“
Es gibt nur diese Verdachtsdiagnose. Wenn es das nicht ist, ist es im medizinischen Sinne nichts – egal, wie krank ich bin. Aber nichts geht nicht. Und diese Diagnose will ich auch nicht.
Warten, Unsicherheit, kein Rückruf
Die Form der Erkrankung ist selten. Um sie abzuklären, braucht es eine SPECT-Untersuchung im UKE – der Arzt verspricht, die Überweisung zu vermitteln. Aber: Bis Oktober soll ich unbehandelt warten. Die Tabletten würden sonst das Ergebnis verfälschen.
Im Oktober soll das UKE mich anrufen. Doch später steht dazu nichts mehr im Arztbericht. Es kommt kein Anruf. Es gibt keine Ansprechperson.
In der Zwischenzeit finde ich heraus: Diese Diagnose ist so selten wie letal. Drei bis fünf Jahre – die man sicher nicht mehr haben will.
Ich habe das Glück, zu einer Traumatherapeutin gehen zu können. Sie gibt mir Akkustunden. Ich weine dort. Nicht, weil ich traurig bin. Mir ist Sterblichkeit nicht fremd. Sondern weil mein Dopaminspiegel einfach im Keller ist.
Dopamin – nicht nur für die Motorik, sondern DAS Glückshormon.
Hospiz, Bürokratie, Rückhalt
Ich versuche, meine Angelegenheiten zu regeln – wenn ich mich konzentrieren kann. Da ich eh zu einer Ärztin nach Bardowick muss, schaue ich mir dort das Hospiz an. Es ist alles wie in einem Film.
Die Therapeutin sagt mir klar: Ich muss mich jetzt nicht mehr um die Welt kümmern.
Mein unglaublich geduldiger Arbeitgeber, meine Chefin, mein Team – alle stehen hinter mir. Trotz der Unklarheiten. Das ist großartig.
Neue Hoffnung – Diagnoseversuch auf Umwegen
Im Oktober reicht es mir. Eine Freundin gibt mir die Adresse einer Fachklinik. Wenn das mit dem UKE nicht klappt, dann eben von der anderen Seite. Vor Weihnachten werde ich tatsächlich in die Gertrudisklinik aufgenommen.
Fast hätte ich den Weg dorthin nicht geschafft – ich breche am Bahnhof zusammen. Ich rufe weinend bei der Klinik an. Der Mann am Empfang lotst mich nach Biskirchen, wo mich der Hausmeister abholt. Eine Ärztin wartet dort auf mich. Freundlich, einfühlsam – sie kocht mir sogar einen Kaffee.
Bei der Aufnahmeuntersuchung fragt sie, wie der andere Arzt auf atypischen Parkinson gekommen sei. Für sie sieht es nach Morbus Parkinson aus. Ein Hoffnungsschimmer.
Körperwillen und bittersüße Realität
Was mich in dieser Zeit erstaunt: Wie sehr der Körper überleben will.
In der Klinik zu sein, hilft. Ich treffe viele Patient:innen – auch mit atypischen Parkinson-Formen. Ich sehe, was auf mich zukommen kann. Eine fortgeschrittene Patientin spricht mit mir über Sterbehilfe. Das beruhigt mich. Der Verein ist in Berlin. Man braucht 4000 €. Paare bekommen Ermäßigung. Ich muss lachen. Das ist echt absurd.
Diagnose und Wendepunkt
Keine zehn Tage später kommt die Oberärztin zu mir. Die Untersuchungen sind abgeschlossen.
Ich habe Morbus Parkinson. Eindeutig.
Die Therapie kann starten. Bald wird es mir besser gehen. Ich bin ihr dankbar. Gehe aus dem Raum. Weine – vor Erleichterung. Behandelbar. Leben.
Meiner Bettnachbarin zeige ich das nicht. Sie hat den atypischen Parkinson – nicht behandelbar, ähnlich wie ALS. Die Form, der ich gerade entkommen bin