
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer Maria Rilke
Gestern erfuhr ich, dass meine Freundin Johanna, (Das Foto oben war ihr Profilbild), die ich über 50 Jahre kannte, verstorben ist. Wir gingen 12 Jahre in dieselbe Klasse der Waldorfschule Hamburg Wandsbek.
Erst vor wenigen Wochen haben wir gemeinsam mit einer weiteren Freundin unser Klassentreffen vorbereitet.
Eine Frage in der Vorbereitung auf das Klassentreffen war, wie wir den Verstorbenen Raum geben wollen.
Johanna hatte dann die Idee mit dem Auslegen von Zetteln und Stiften. Das zeigt auch, das Foto, das ich von ihr gemacht habe, da ist sie gerade dabei. Nun mache ich das, was Johanna vorschlug und greife zum Stift.
-vorher noch ein Wort- ich habe diese Information vollkommen überraschend auf whats up ohne jede Vorwarnung mitgeteilt bekommen - nicht das es eine "gute Form" gibt ... aber - tut das einfach nicht.
27.10.2024 Lüneburg
Liebe Johanna,
zu so manchem, der das Klassentreffen aufs nächste Mal verschieben wollte, sagte ich, dass das Leben endlich ist und dass wir nicht wissen, wer dann noch dabei ist.
Was für ein Schock gestern so unvermittelt zu erfahren, dass Du gegangen bist.
Du fühltest Dich in mir so warm und lebendig an und ich habe täglich damit gerechnet, dass Du mich anrufst,
weil Du wieder im Norden Unterkunft suchst und wir die übliche Diskussion haben werden, wie lange Du auf
meinem Sofa wohnen kannst.
Vorgestern habe ich gerade mit dem Schwimmkurs begonnen, den Du mir geschenkt hast.
Dabei hab ich natürlich an Dich gedacht. Ich war gerührt deswegen, Du wolltest ein bisschen das E-Bike wiedergutmachen, dass ich mal für Dich vertickt habe. So waren wir füreinander da, wie es gerade ging.
Du warst echt speziell liebe Johanna und in den letzten Jahren, besonders seit der Krebsdiagnose, war es mit uns nicht immer einfach. Plötzlich erlebte ich Dich von Seiten, die für mich überraschend und herausfordernd waren. Vielleicht war es eher überraschend, dass ich das vorher nie so stark wahrgenommen hatte?
Du warst wie ein Familienmitglied, das dazugehört.
Ich erinnere, wie ich zu meinem Bruder sagte: "Wir müssen sie verbrauchen, wie sie ist!" Frank mochte Dich auch und wir waren doch neulich erst in seinem Laden.
Du wirktest manchmal so zäh und stur auf mich, dass ich annahm, Du würdest mir noch mit 80 auf den Keks gehen und mindestens 100 werden.
Wir wissen einfach nie, wie fragil, verletzlich jemand wirklich ist.
Und wie lange wir jemanden an unserer Seite haben.
Ich bin dankbar für Dich als Freundin -früher, das Spielen als Kind. Ich war mit meiner Schildkröte bei Euch im Hochhaus und hab Labskaus kennengelernt.
Wir liebten dieselben Kinderbücher. Man konnte gut mit Dir reden, es war anregend und wir haben viel gelacht.
Heute hätte man Dich vielleicht als Kind auf Asperger getestet und Dir vielleicht noch besser helfen können. Inselbegabungen. Wie verwirrend die Welt wohl für Dich gewesen ist?
Du warst eine treue Seele, ich bin Dir dankbar, dass Du den Kontakt immer gehalten hast.
Und nun bist Du einfach gegangen.
Es ist nicht wenig, was mir noch zu Dir einfällt. Doch ich beende das Schreiben jetzt,
denn erstmal will der Verlust gefühlt werden.
Gestern Abend, nachdem ich: "ich wünsche Dir tiefen Frieden" gesungen hatte, wütend wurde, weil Du weg bist, wieder traurig wurde, weil das Leben endlich ist… hatte ich zuletzt Dein lächelndes, klares Gesicht vor mir und spürte,
wie ich automatisch zurücklächelte.
Gib mir noch ein wenig Zeit... aber ja, wir werden uns wiedersehen.
Deine Swantje


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